Beverley Allitt, auch „Todesengel“ genannt, wurde zu einer der berüchtigtsten Serienmörderinnen Großbritanniens. Sie tötete vier Babys und Kinder und versuchte, neun weitere zu ermorden.
Kindheit – Der Beginn allen Übels?
Schon als kleines Kind liebte es Allitt, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zu ihren Hobbys zählte es sich Verbände anzulegen, ohne jemanden die Wunden darunter zu zeigen. Ob sie tatsächlich Verletzungen verbargen, gab Allitt niemandem preis. Als Teenager litt sie an Übergewicht und wurde ihren Mitmenschen gegenüber zunehmend aggressiver.
Allitt verbrachte viel Zeit in Krankenhäusern, um wegen einer Reihe von körperlichen Beschwerden ärztliche Hilfe zu suchen. Den Gipfel bildete die Entfernung ihres vollkommen gesunden Blinddarms. Die Narbe heilte nur langsam, da sie jegliche Hilfsmittel zur Wundheilung ablehnte. Nicht zuletzt war Allitt dafür bekannt, sich selbst zu verletzen. Das führte dazu, dass sie ständig ihre Ärzte wechselte, um weiterhin nur oberflächlich behandelt zu werden und nicht mit der tatsächlichen Ursache, ihrer gestörten Psyche, konfrontiert zu werden.
Allitt machte eine Ausbildung zur Krankenschwester, bei der sie ebenfalls durch ihr verstörendes Verhalten auffiel. Einmal verschmierte sie Fäkalien der Patienten an die Wände des Pflegeheims, in dem sie arbeitete. Ihr damaliger Freund sagte später über sie aus, sie wäre ihm gegenüber aggressiv und manipulativ gewesen. Einmal behauptete sie vergewaltigt worden zu sein, ein anderes Mal, dass sie von ihm schwanger wäre. Beide Punkte stellten sich als Lügen heraus.
Trotz ihrer hohen Fehlzeiten und ihrer nur unzureichenden Ausbildung ergatterte sie einen auf sechs Monate befristeten Job im chronisch unterbesetzten Grantham & Kesteven Hospital in Linconshire, wo sie in der Kinderstation 4 anfing. Dieser Personalmangel erklärt vielleicht im Nachhinein, wie Allitt so lange ungeschoren davonkommen konnte…
Mordserie
Am 21. Februar 1991 wurde ihr erstes Opfer, der sieben Monate alte Liam Taylor, auf die Station 4 eingeliefert. Allitt setzte alles daran, den Eltern zu versichern, dass das Kind in guten Händen wäre, und überredete sie, nach Hause zu gehen, um sich auszuruhen. Als sie zurückkamen, teilte ihnen Allitt mit, dass Liam ein Atemnotsyndrom erlitten hatte, ihm es jetzt aber wieder besser ginge. Als Allitt wieder mit dem Jungen allein war, verschlechterte sich sein Zustand zusehends; Allitt alarmierte ein Notfall-Reanimationsteam. Die Krankenpfleger waren darüber verwundert, dass die Alarmmonitore nicht ertönten, als Liam aufhörte zu atmen. Trotz aller Bemühungen erlitt Liam schwere Hirnschäden und blieb nur durch den Einsatz von lebenserhaltenden Geräten am Leben. Auf ärztlichen Rat hin trafen seine Eltern die qualvolle Entscheidung, die lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen. Als Todesursache wurde Herzinsuffizienz aufgeführt. Allitt wurde nie über ihre Rolle bei dem Tod von Liam befragt.
Nur zwei Wochen nach dem Tod von Liam war Allitts nächstes Opfer Timothy Hardwick, ein 11-Jähriger mit Zerebralparese, der nach einem epileptischen Anfall auf Station 4 gelandet war. Allitt übernahm seine Pflege und rief nach einer Zeit, in der sie mit dem Jungen allein gewesen war, das Notfall-Reanimationsteam. Trotz aller Bemühungen gelang es dem Team nicht ihn wiederzubeleben.
Allitts drittes Opfer, die einjährige Kayley Desmond, wurde am 3. März 1991 mit einer Brustentzündung, von der sie sich gut zu erholen schien, auf die Station 4 gebracht. Fünf Tage später erlitt Kayley in Anwesenheit Allitts einen Herzstillstand in dem Bett, in dem Liam Taylor vierzehn Tage zuvor gestorben war. Das Reanimationsteam konnte sie wiederbeleben und sie wurde in ein anderes Krankenhaus in Nottingham verlegt. Die behandelnden Ärzte entdeckten bei einer Untersuchung ein seltsames Einstichloch unter ihrer Achselhöhle, doch es wurde keine weitere Untersuchung eingeleitet.
Der fünf Monate alte Paul Crampton wurde Allitts nächstes Opfer. Kurz vor seiner Entlassung – Allitt hatte ihn zuvor betreut – erlitt er einen Insulinschock und fiel beinahe ins Koma. Die Ärzte belebten ihn wieder, konnten aber die Schwankungen seines Insulinspiegels nicht erklären. Als er mit dem Krankenwagen in ein anderes Krankenhaus in Nottingham gebracht wurde, erholte er sich. Er überlebte den Todesengel.
Am nächsten Tag erlitt der fünfjährige Bradley Gibson, ein Lungenentzündungspatient, einen unerwarteten Herzstillstand, wurde aber vom Reanimationsteam gerettet. Spätere Blutuntersuchungen ergaben einen zu hohen Insulinspiegel, was für die behandelnden Ärzte keinen Sinn ergab. Ein Besuch von Allitt später in der Nacht führte zu einem weiteren Herzinfarkt und Bradley wurde nach Nottingham transportiert, wo er sich erholte.
Trotz dieser alarmierenden Zunahme ungeklärter gesundheitlicher Ereignisse – alle in Anwesenheit von Allitt – wurden zu diesem Zeitpunkt keine Nachforschungen angestellt.
Das nächste Opfer war Yik Hung Chan, der jedoch nach Nottingham verlegt wurde, wo er sich erholte.
Daraufhin wandte sich Allitt den Zwillingen Katie und Becky Phillips zu, die zwei Monate alt waren und wegen ihrer Frühgeburt noch zur Beobachtung im Krankenhaus blieben. Eine Magen-Darm-Erkrankung brachte Becky am 1. April 1991 in die Abteilung 4, wo Allitt ihre Pflege übernahm. Zwei Tage später schlug Allitt Alarm und behauptete, dass Becky hypoglykämisch wäre und sich kalt anfühle. Es konnte jedoch keine Krankheit festgestellt werden. Das Baby wurde heimgeschickt. In der Nacht bekam Becky Krämpfe. Der herbeigerufene Arzt konnte nichts mehr für die Kleine tun – sie starb. Trotz einer Obduktion konnten Pathologen keine eindeutige Todesursache feststellen.
Beckys Zwillingsschwester Katie wurde vorsorglich in Grantham eingeliefert. Wieder war Allitt vor Ort. Es dauerte nicht lange, bis der Todesengel erneut ein Reanimationsteam herbeirief, um Katie wiederzubeleben, die aufgehört hatte zu atmen. Die Bemühungen, Katie wiederzubeleben, waren erfolgreich, aber zwei Tage später erlitt sie einen ähnlichen Anfall, der zum Kollaps ihrer Lunge führte. Nach einer weiteren Wiederbelebung wurde Katie nach Nottingham verlegt, wo festgestellt wurde, dass fünf ihrer Rippen gebrochen waren und sie schwere Gehirnschäden infolge des Sauerstoffmangels erlitten hatte. Die Familie Phillips war Allitt so dankbar, dass sie das Leben ihres nach den Behandlungen für immer beeinträchtigten Babys gerettet hatte, dass sie sie bat, Katies Taufpatin zu werden. Diese akzeptierte bereitwillig.
Vier weitere Opfer, die dem Tod nur knapp entkamen, folgten.
Ermittlungen
Am 22. April 1991 wurde Allitts Mordserie mit dem Tod der 15 Monate alten Claire Peck, einer Asthmatikerin, beendet. Während sie nur wenige Minuten in Allitts Obhut war, erlitt das Kind einen Herzinfarkt – das Reanimationsteam konnte sie erfolgreich wiederbeleben. Einmal mehr allein in Allitts Gegenwart erlitt Claire einen zweiten Anfall, der tödlich endete. Obwohl eine Autopsie ergab, dass Claire eines natürlichen Todes gestorben war, leitete Dr. Nelson Porter, ein Berater des Krankenhauses, eine Untersuchung ein. Die hohe Anzahl an Herzstillständen in den letzten zwei Monaten auf Station 4 beunruhigte ihn. Ein Test, der einen hohen Kaliumspiegel im Blut von Claire darlegte, führte dazu, dass die Polizei alarmiert wurde. Die Exhumierung des Babys führte zur Entdeckung von Spuren von Lignocain in ihrem Körper, einem Medikament, das während eines Herzstillstands verabreicht wird, allerdings niemals bei Babys.
Der Arzt untersuchte die weiteren Verdachtsfälle, die in den letzten zwei Monaten aufgetreten waren, und konnte in den meisten Fällen übermäßig hohe Insulindosen feststellen. Weitere Nachforschungen ergaben, dass Allitt gemeldet hatte, dass ein Schlüssel zum Insulinschrank verloren gegangen war. Alle Akten wurden überprüft, die Eltern der Opfer befragt und in Station 4 eine Sicherheitskamera installiert. Am Ende deuteten alle Beweise auf Allitt hin.
Festnahme
Im November 1991 wurde Allitt angeklagt. Sie zeigte sich während des Verhörs ruhig und zurückhaltend, leugnete jede Beteiligung an den Angriffen und bestand darauf, dass sie sich nur um ihre Patienten gekümmert hatte. Bei einer Durchsuchung ihrer Wohnung wurden manche der fehlenden Pflegeprotokolle sichergestellt. Weitere umfangreiche Hintergrundüberprüfungen durch die Polizei ergaben ein Verhaltensmuster, das auf eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung hinwies. Allitt zeigte sowohl Symptome des Münchhausen-Syndroms als auch des Münchhausen-by-proxy-Syndroms.
Beim Münchhausen-Syndrom werden körperliche oder psychische Symptome entweder selbst herbeigeführt oder vorgetäuscht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Das Münchhausen-by-proxy-Syndrom beinhaltet, anderen zu schaden, um Aufmerksamkeit für sich selbst zu gewinnen.
Nach einer Reihe von Anhörungen wurde Allitt wegen vierfachen Mordes, elffachen versuchten Mordes und elffacher schwerer Körperverletzung angeklagt. Während sie auf ihren Prozess wartete, verlor sie schnell an Gewicht und wurde magersüchtig – ein weiteres Indiz für ihre psychischen Probleme.
Prozess und Verurteilung
Nach zahlreichen Verzögerungen aufgrund ihrer „Krankheiten" wurde Allitt im Februar 1993 vor Gericht gestellt um im Mai zu 13 lebenslangen Haftstrafen wegen Mordes und versuchten Mordes verurteilt. Es war die härteste Strafe, die jemals gegen eine Frau verhängt wurde. Eine frühzeitige Freilassung auf Bewährung ist im Fall von Allitt ausgeschlossen, da sie weiterhin eine Gefahr für ihre Mitmenschen bleibt.
Gerechtigkeit für die Opfer?
Allitt kam in der Hochsicherheitseinrichtung Rampton, in der hauptsächlich Insassen untergebracht werden, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. Kaum in Gefangenschaft, setzte sie wieder alles daran, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie schluckte gemahlenes Glas und goss kochendes Wasser über ihre Hand. Sie gab später auch drei der Morde und sechs Mordversuche zu. Alles nur, um im Licht der Aufmerksamkeit zu stehen.
Chris Taylor, Vater ihres ersten Opfer Liam, prangerte öffentlich immer wieder an, dass Allitts Zeit im Gefängnis eher einem Urlaub ähnle. 1.400 Angestellte kümmern sich in der Anstalt Rampton um 400 Insassen, was den Steuerzahler pro Häftling und Woche 2.000 Pfund kostet.
Das Grantham & Kesteven Hospital, in dem Allitt arbeitete, hatte mit einer derartigen Rufschädigung zu kämpfen, dass die Entbindungsstation dauerhaft geschlossen werden musste.