Der US-amerikanische Serienmörder Henry Lee Lucas könnte einer der berüchtigtsten Serienmörder der Kriminalgeschichte sein. Seinen eigenen Aussagen zufolge starben durch seine Hand über 600 Menschen. Doch inwiefern seine Geständnisse glaubwürdig sind, bleibt anzuzweifeln. Einerseits genoss Lucas die mediale Aufmerksamkeit, die ihm als „berüchtigtster aller Serienmörder“ zuteilwurde. Andererseits hatten die Beamten der texanischen Polizei zu sehr fragwürdigen Mitteln gegriffen, um das Schweigen des Tatverdächtigen zu brechen…
Vorgeschichte
Henry Lee Lucas kommt 1936 zur Welt und wächst zusammen mit seinen acht Geschwistern in äußerst prekären Verhältnissen auf: Die Eltern, beide Alkoholiker, kümmern sich kaum um ihren Nachwuchs. Vor allem seine Mutter herrscht mit eiserner Faust über die Familie. Sie prostituiert sich und zwingt Lucas, ihr dabei zuzusehen. Um ihn noch weiter zu demütigen, schickt sie ihn in Mädchenkleidung zur Schule. Erst als die Lehrkräfte dagegen protestieren, gibt Lucas‘ Mutter nach. In der sechsten Schulstufe geht Lucas von der Schule ab, ergreift die Flucht aus dem Elternhaus und zieht durchs Land. Sein Sexualverhalten nimmt bereits zu der Zeit verstörende Züge an. In späteren Interviews gibt er an, damals immer wieder Geschlechtsverkehr mit Tieren verübt zu haben.
Nach mehreren Gefängnisaufenthalten wegen Diebstahls zieht Lucas zu einer seiner Schwestern. Als seine Mutter zu Besuch kommt – der Vater war bereits verstorben, nachdem er alkoholisiert auf dem Heimweg in einen Schneesturm geriet und darin erfror – beginnt ein Streit, der tödlich enden sollte. Lucas‘ Mutter versucht ihren Sohn davon zu überzeugen, zurück nach Hause zu kommen, da sie im Alter Hilfe brauche. Lucas‘ Aussage nach sticht er in Notwehr in den Nacken seiner Mutter ein. Sie erleidet daraufhin einen Herzinfarkt und stirbt, ehe ihr geholfen werden kann.
Lucas wird wegen Mordes zweiten Grades zu bis zu 40 Jahren Haft verurteilt. Nach nur zehn Jahren kommt er wegen Überfüllung des Gefängnisses wieder frei. Nur wenige Jahre später tritt er wegen versuchter Entführung eine weitere Haftstrafe an.
Treffen mit Folgen
Als Lucas erneut entlassen wird, trifft er auf den Kleinkriminellen Ottis Toole. Mit Toole und dessen geistig behinderter Nichte Becky Powell geht er auf einen Roadtrip durch die USA. Obwohl Lucas später in seinen Aussagen immer wieder seine Liebe zu Powell beteuert, tötet er sie. Den dritten nachgewiesenen Mord verübt er an einer älteren Frau, Kate Rich, bei der das Trio Unterschlupf auf ihrer Reise gefunden hatte.
Fragwürdige Polizeimethoden
1983 wird Lucas wegen illegalen Waffenbesitzes in Texas festgenommen. Was nun folgt, führt zu weitreichenden Diskussionen über die Methoden der texanischen Polizei.
Kaum in Untersuchungshaft, gesteht Lucas die Morde an Powell und Rich, obwohl ihn keine forensischen Beweise damit in Verbindung gebracht hatten. Die Beamten finden Gefallen an ihrem geständigen Verdächtigen. Zur Belohnung für weitere Geständnisse schläft er in Hotels und geht ohne Handschellen in Restaurants auf Staatskosten essen. Um seine teils lückenhafte Erinnerung aufzufrischen, werden ihm einfach die Fallakten vorgelegt. Am Ende werden Lucas über 200 bisher ungeklärte Mordfälle zur Last gelegt – er selbst spricht mal von 20, dann von 100, dann auch mal von über 600 Tötungsdelikten.
Lucas, der „schreckliche Serienmörder mit Sonderbehandlung“ wird daraufhin medienwirksam zum Tode verurteilt.
1998 wird das Todesurteil gegen Lucas in eine lebenslange Haftstrafe auf Geheiß des damaligen texanischen Gouverneurs George W. Bush umgewandelt – bei einem ihm zugeschriebenen Mord in Texas konnte er nicht eindeutig als Täter bestimmt werden. Es bleibt George W. Bushs einzige Begnadigung seiner Amtszeit.
Die Staatsanwaltschaft hatte bereits zuvor, seit 1985, als ein Journalist der Zeitung „Dallas Times-Herald“ anfängt, an dem Serienmörder Lucas zu zweifeln, eine Untersuchung beauftragt. Viele der von Lucas gestandenen Morde konnte er gar nicht begangen haben, da er zu den Tatzeitpunkten nachweislich ganz woanders im Land gewesen war.
Im Todestrakt wird Lucas Christ und verbringt seine Tage als Mustergefangener. Er stirbt am 12. März 2001 im Alter von 64 Jahren eines natürlichen Todes.
Heute geht man davon aus, dass Lucas mindestens elf Morde begangen hat.