Robert J. Lifton ist US-amerikanischer Psychiater und hat bereits Anfang der 1980-er Jahre acht Kriterien der Bewusstseinsmanipulation definiert, um Gruppen zu identifizieren, die Kontrolle über ihre Mitglieder erhalten wollen. Eine Ideologie kann in Definition des Dudens zum einen ein System von Weltanschauungen, Grundeinstellungen und Wertungen, die an eine soziale Gruppe oder eine Kultur gebunden sind, und zum anderen eine politische Theorie beschreiben, in der Ideen der Erreichung politischer und wirtschaftlicher Ziele dienen. Letzteres bezieht sich besonders auf die Zielerreichung in totalitären Systemen. Liftons acht Kriterien der Bewusstseinsmanipulation, um eine totalitäre Umgebung als solche zu beurteilen, stellen wir euch in diesem Blogartikel vor.
1. Milieukontrolle
Im Wesentlichen beinhaltet das erste Kriterium nach Lifton die Kontrolle über die Kommunikation und den Informationsfluss innerhalb einer Umgebung. Nicht nur die Verfügbarkeit von Informationen wird beeinflusst, sondern auch wie diese verarbeitet werden sollen. Langfristig bedeutet das die Isolation von der Gesellschaft. Dies muss nicht zwingend geografische Isolation sein, sondern kann auch psychischen Druck oder physische Abkapselung bedeuten. Das Gefühl eines Absolutheitsanspruchs entsteht, die Mitglieder der Gruppe fühlen sich überlegen. Innerhalb eines totalitären Systems oder einer Sekte kann dies zur Bildung einer eigenen Identität der Gruppe führen, die nach Lifton sogar die individuelle Identität der Mitglieder überlagert.
2. Mystische Manipulation oder geplante Spontaneität
Die mystische Manipulation beschreibt nach Lifton einen systematischen Prozess. Er bezeichnet dieses Kriterium auch als geplante Spontaneität, da die Manipulation der Erfahrungen zwar für den Empfänger spontan scheint, tatsächlich jedoch durch die Gruppe oder ihren Anführer aktiv gelenkt wird. So kann sich ein Führer durch eine spezielle Gabe darstellen oder seine spirituelle Überlegenheit zum Ausdruck bringen und aus dieser Autorität heraus Ereignisse, Erfahrungen oder gar heilige Schriften neu deuten, wie er es für richtig sieht. Der „Auserwählte“ wird zum Erlöser oder Propheten.
3. Forderung nach Reinheit
Die Forderung nach Reinheit verlangt ein typisches Schwarz-Weiß-Denken: Die radikale Trennung von Gut und Böse, von Rein und Unrein nicht nur innerhalb der Umgebung, sondern auch innerhalb der eigenen Person zwingt die Mitglieder sich der Ideologie zu beugen und nach Perfektion gemäß der Ansichten der Gruppe anzustreben. Die Bestrafung durch Schuldbewusstsein und/ oder Schamgefühl sind nach Lifton ein mächtiges Werkzeug, um dies durchzusetzen.
4. Kult des Geständnisses
Sünden, die innerhalb der Gruppe klar als solche festgelegt wurden, müssen von allen Mitgliedern entweder einem persönlichen Beobachter oder öffentlich der Gruppe gebeichtet werden. Innerhalb der Ideologie gibt es keine Geheimhaltung. Die Sünden, Einstellungen und Fehler der Mitglieder werden offen diskutiert und vom Anführer bewertet. Lifton fügt außerdem hinzu, dass diese Regeln durch Muster der Kritik und Selbstkritik gefestigt werden.
5. Sakrale Wissenschaft
Die Ideologie oder das System von Ansichten der Gruppe werden als ultimative Wahrheit angesehen – unantastbar gegenüber jeglichen Zweifeln oder Fragen. Außerhalb der Gruppe kann die Wahrheit nicht gefunden werden. Den Anführer der Gruppe als Sprachrohr Gottes oder Vertreter der Menschheit schließt diese Unantastbarkeit mit ein. Die Ansichten werden in ihrer Wertigkeit über wissenschaftliche Erkenntnisse gestellt. Den Mitgliedern einer Ideologie wird eingetrichtert, wenn sie die Wahrheit noch nicht erkennen können, seien sie noch nicht fortgeschritten genug.
6. Bedeutungsverschiebung der Sprache
Die Veränderung der Verwendung einzelner Wörter und Formulierungen innerhalb der Gruppe verstärkt den Isolationsgedanken gegenüber der Gesellschaft. Oft ist es in totalitären Systemen und Sekten der Fall, dass Ausdrücke neu interpretiert und so verwendet werden, dass die Außenwelt sie nicht versteht. Zudem beeinflusst die eigene Sprache die Gedankengänge der Gruppe und vereinheitlicht deren Denkmuster.
7. Doktrin über die Person
Diesem Kriterium von Lifton nach steht die Ideologie in jedem Fall über dem Menschen. Dies gewinnt besonders in Situationen an Bedeutung, in denen das eigene Erleben nicht mit den Vorgaben der Ansichten des Systems übereinstimmt. Die Wahrheit der Lehre ist zu finden und das eigene Erleben unterzuordnen, da ein Widerspruch erneut zu Schuldgefühlen führt. Konträre Erfahrungen müssen entweder verleugnet oder neu interpretiert werden, um der Ideologie der Gruppe zu entsprechen.
8. Aufhebung der Existenz
Lifton definiert die Aberkennung der Existenzberechtigung nicht im wörtlichen Sinn. Es geht um Mechanismen, die psychische Folgen für Nicht-Existenzberechtigte beinhalten. Die Gruppe hat das Vorrecht zu entscheiden, wer das Recht zu existieren hat und wer nicht. Jemand, dem die Existenzberechtigung nicht zugestimmt wird, gilt als nicht gerettet, hat die Erleuchtung noch nicht erfahren und muss die Ideologie erst noch annehmen. Ein Anhänger, der der Gruppe nicht beitritt oder sogar kritisch gegenüber ihrer Ansichten steht, muss von den Mitgliedern ausgestoßen werden. Der Druck der Nicht-Existenzberechtigung kann dazu führen, dass eine Angst vor innerer Vernichtung angestoßen wird, ebenso wie ein Angenommener ein Gefühl der Befriedigung erfährt, sich als Teil der Auserwählten zu fühlen.